Wie wir durch Herrschaft, Kapitalismus und Patriarchat aus paradiesischen Zuständen vertrieben wurden
Nicht weniger als die Überwindung von Patriarchat, Herrschaftssystem und Kapitalismus fordert der Volkswirt und Coach Markus Pühringer in seinem Buch „Herrschaftsfrei leben“. Er sieht diese drei Systeme als einander bedingend bzw. verstärkend und verweist darauf, dass die heute dominante Wirtschafts- und Lebensweise, der Konsumkapitalismus in den reichen Ländern bei gleichzeitiger Ausbeutung anderen Regionen sowie der Natur, menschengemacht und daher veränderbar ist. Um uns daran zu erinnern, dass Wirtschaft und Zusammenleben auch anders, nämlich gemeinschaftlich organisiert sein können, geht Pühringer unter Bezugnahme auf die Soziologin Riane Eisler weit zurück zu den frühen matriarchalen Gesellschaften, in denen es weder Herrschaft noch Besitz gegeben habe. Wir sollen das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen, doch uns bewusstmachen, dass der „Mythos der Herrschaft“ überwindbar ist, so der Autor. Der „sogenannte Prozess der Zivilisation“ sei mit Gewalt durchtränkt und ein kultureller Rückschritt. Seine Fortsetzung werde uns – das sehen ja auch andere mittlerweile so – in den ökologischen Abgrund treiben.
Pühringer geht von drei menschlichen Grundbedürfnissen aus: der Sicherung der materiellen Basis, der Ermöglichung von Verbundenheit sowie jener der Potenzialentfaltung – bei letzteren bezieht er sich u.a. auf Ergebnisse der Gehirnforschung bei Joachim Bauer und Gerald Hüther. Werden diese Grundbedürfnisse nicht befriedigt, kommen Gesellschaften in die Krise. Pühringer spricht vom Überschreiten einer „Schmerzgrenze“ (n. J. Bauer). Die materiellen Grundbedürfnisse seien in den reichen Ländern weitgehend befriedigt, doch hinsichtlich Verbundenheit und Potenzialentfaltung lebten wir über der Schmerzgrenze, wie zahlreiche Befunde zeigen würden.
Den zentralen systemischen Treiber sieht Pühringer im Kapitalismus, nämlich in der Akkumulationsdynamik – hier bezieht er sich auf Karl Marx und Thomas Piketty. Waren würden nicht mehr über Geld getauscht (W-G), sondern mit Geld würden Waren produziert mit dem Ziel, daraus mehr Geld zu machen (G-W-G´). Was andere als Profit, Rendite oder Mehrwertaneignung bezeichnen, nennt Pühringer eine leistungslose „Reichtumsprämie“. Der Autor verneint die wirtschaftlichen Erfolge dieses Systems nicht, er hält die sozialen, kulturellen und ökologischen Kollateralschäden jedoch für das größere Übel.
Auf dem Weg zur Utopie
Wie soll der Wandel gelingen? Mit dem Jesuitenpater David Steindl-Rast plädiert Pühringer für den Übergang von pyramidalen zu netzwerkartigen Gesellschaftsformationen. Durch die Einübung von Achtsamkeit, den Aufbau sozialer Netze und Gruppen, bewusste Ernährung und befreite Sexualität, die Ausweitung lokaler und regionaler Versorgungssysteme sowie das Nicht-Mehr-Mitmachen im Konsumsystem würden wir schrittweise wieder zu mehr Verbundenheit und Potenzialentfaltung gelangen und zugleich dem Kapitalismus ein Stück weit die Basis entziehen. Politisch fordert Pühringer die Unterbindung der Geldakkumulation, also die „Abschaffung der Reichtumsprämie“ durch eine Vermögenssubstanz- bzw. Geldsteuer. Zudem sei ein weltweiter Schuldenerlass, den es in der Geschichte immer wieder gegeben hat, unerlässlich.
„Auf nach Utopia“ (S. 193) fordert Markus Pühringer und mag Zweifel provozieren, ob dies gelingen kann. Doch jede Utopie beginnt mit den ersten Schritten. Und radikales Denken ist wohl die einzig angemessene Reaktion auf die vielerorts beschriebenen Krisen. Der Autor spricht grundlegende Fragen an; dass er dabei auch religiöse Metaphern wie „das Göttliche“ oder die „Rückkehr ins Paradies“ bemüht, mag manchen irritieren, auch wenn die beschriebenen religiösen Lehren etwa vom Zinsverbot oder dem Schuldenerlass durchaus herrschaftskritisch waren. Seine Aufforderung zur Selbststeuerung unter Negierung des Herrschaftssystems des Konsums trifft jedoch den Kern eines Neuanfangs. Wie eine andere Ökonomie der Verbundenheit und Nähe konkret aussehen könnte, wird sich in vielfältigen Experimenten zeigen und könnte Thema eines anderen Buchs werden.
Von Hans Holzinger, erstmals veröffentlicht auf der Seite der JBZ
Pühringer, Markus: Herrschaftsfrei leben. Wie wir Menschen durch Herrschaft, Kapitalismus und Patriarchat aus paradiesischen Zuständen vertrieben wurden und wie wir wieder dahin zurückkehren können. St. Pölten: Planet-Verlag, 2018. 214 S. € 19,90 [A, D]