Den Frieden gewinnen
Stellungnahme des Friedensbüros zur russischen Invasion in die Ukraine
Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine, der seit dem 24.2.2022 – und auch die Jahre davor – unzählige Opfer gefordert hat. Menschen, die ihr Leben verloren haben, ihre Heimat verlassen mussten oder ihrer demokratischen Rechte und ihrer Freiheit beraubt wurden, stehen für diese humanitäre Katastrophe, die nicht getrennt werden kann von den Zerstörungen von lebendiger Natur, kulturellen und sozialen Räumen und lebensnotwendiger Infrastruktur.
Wir sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und erkennen ihr Recht an, sich mit den Mitteln ihrer Wahl zu verteidigen. Das betrifft auch die Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, die Ukraine dabei umfassend zu unterstützen, um der Gewalt Einhalt zu gebieten.
Die starke Fokussierung auf militärische Formen der Unterstützung lässt wenig Raum für den Blick auf zivile Formen der Konfliktbearbeitung und die vielen Nebenwirkungen militärischen Handelns. Die anhaltenden Waffenlieferungen befähigen die Ukraine zwar, ihre staatliche Souveränität zu verteidigen und eine Pattsituation herbei zu führen. Sie drohen jedoch zunehmend in einen langen Abnützungskrieg oder in einer atomaren Eskalation mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten zu münden.
Die beispiellosen Aufrüstungsschritte haben auch enorme Auswirkungen auf die vielen anderen, von der westlichen Öffentlichkeit viel weniger wahrgenommenen Krisen- und Kriegsregionen vor allem im Globalen Süden. Sie konterkarieren zudem den Kampf gegen die Klimakrise, dem sie die notwendigen finanziellen Ressourcen aber auch mediale Aufmerksamkeit entziehen.
Die Fokussierung auf den militärischen Sieg über Russland lässt die Notwendigkeit in den Hintergrund treten, letztlich den Frieden gewinnen zu müssen. Diese Friedenslogik wirft den Blick auf Menschen und Institutionen, die in den letzten Monaten kaum wahrgenommen wurden, die aber einen wesentlichen Beitrag zur Deeskalation und zum Ausstieg aus der Gewaltspirale beitragen können:
In den Nachbar- und Aufnahmeländern haben zivilgesellschaftliche und staatliche Initiativen gemeinsam mit Menschen aus der ukrainischen Diaspora, beeindruckende Beiträge in Bezug auf die Aufnahme von geflüchteten Menschen und die humanitäre Hilfe vor Ort geleistet. Zahlreiche Menschen in der Ukraine – aber auch in Russland und Belarus – versuchen die Logik des Krieges zu durchbrechen, zum Beispiel durch zivilen Widerstand, gewaltfreie Aktionen, Desertion und Kriegsdienstverweigerung oder durch alltägliche Formen von Zivilcourage und Solidarität. Ihrem Tun würde eine viel größere Aufmerksamkeit der Berichterstattung gebühren.
Es gilt, den Glauben daran wiederzugewinnen, dass demokratische Prozesse und Menschenrechte zuallererst mit den Mitteln der zivilen Konfliktbearbeitung initiiert, geschützt und langfristig abgesichert werden. Die Praxis von „Soft Power“, die friedensschaffende Kraft von Diplomatie, Verhandlungs- und Dialogprozessen auf unterschiedlichsten Ebenen, haben unserer Einschätzung nach einen enormen Bedeutungsverlust erlitten. Dabei sind sie nach wie vor der einzig realistische Weg aus der Eskalationsspirale.
Nach den zahlreichen Völkerrechtsverletzungen in den letzten Jahrzehnten und der systematischen Demontage von Instrumenten der kollektiven Sicherheit könnte dieser eskalierte Konflikt dazu genützt werden, dem Völkerrecht und den dafür zuständigen Institutionen den ihnen gebührenden Platz zurückzugeben. Sicherheit und Frieden für alle können nur gemeinsam und nicht gegeneinander erreicht werden.
Ein gewonnener Krieg hinterlässt nicht nur zerstörte Gemeinschaften und Lebensräume auf allen Seiten, sondern auch gedemütigte Verlierer. Die Geschichte lehrt uns, dass hier schon die Wurzeln der nächsten Kriege liegen. Gewonnen werden muss der Frieden, der den Kampf um soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte in den Vordergrund stellt und langfristig Dialog- und Versöhnungsprozesse ermöglicht. Das geht nur, wenn wir dabei die Menschen und die politischen Entwicklungen in Russland und in Belarus mitdenken und miteinbeziehen.
Diese Bemühungen brauchen Zeit, Raum, personelle und finanzielle Ressourcen und vor allem die Anerkennung durch die mediale Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger. Nur gemeinsam lässt sich der Frieden gewinnen.
Friedensbüro Salzburg, 20. Februar 2023