Polarisierung: Gefahr oder Chance?

Markus Pausch - Bild: FH Salzburg/Wildbild

Von Markus Pausch

Der Politikwissenschaftler an der FH Salzburg hält bei der Tagung „Gespalten?“ (14.-16. Juni 2023) die Keynote “Prävention und Depolarisierung”. Der Beitrag ist in der Kranich-Ausgabe 02/2023 erschienen.

Viel ist in letzter Zeit von Polarisierung die Rede. Ob es um COVID, den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine oder andere Themen geht, die Meinungen gehen auseinander und oft scheint es unmöglich, einen Dialog aufrechtzuhalten. Unter Polarisierung verstehen wir in der Politikwissenschaft und Demokratieforschung eine Zunahme der Diskrepanz an Meinungen und eine starke Ablehnung der gegenteiligen Position sowie den Kampf um die politische Deutungshoheit. Das ist an sich noch nichts Bedrohliches in einer pluralistischen Demokratie und relativ normal. Es kommt immer wieder mal vor. So gut wie alle Demokratisierungsprozesse, die wir aus der Geschichte kennen, gingen mit einer gewissen Polarisierung einher, weil die herrschenden, oft autoritären Eliten von sich aus nicht freiwillig die Macht teilen wollten. Monarchien, Diktaturen, autoritäre Regime reagieren in der Regel nicht wohlwollend auf jene, die sie herausfordern. Polarisierung hat aus dieser Perspektive betrachtet also durchaus ihre Verdienste in der Geschichte der Machtverhältnisse. Doch sie kann bedrohlich sein, wenn sie zum Ende des Dialogs führt.

Heute heizen die neuen Medien und soziale Plattformen wie Twitter, Instagram oder Tik Tok den Streit an und rasch verbreiten sich Nachrichten des Hasses oder Verschwörungserzählungen rund um den Globus. Auch wenn ein gewisses Maß an Polarisierung zu unseren pluralistischen Demokratien dazu gehört und grundsätzlich nichts Schlechtes ist, so besteht die Gefahr, dass der demokratische Dialog beendet wird und die Polarisierung tatsächlich in eine unversöhnliche Spaltung übergeht. Das kann zu einer exklusiven Demokratie oder sogar zu einem Kippen ins Autoritäre führen. Wann und ob das geschieht, lässt sich nicht immer einfach beantworten.

Manche glauben, die beste Positionierung in polarisierten Gesellschaften wäre jene der Neutralität, der Vermittlung zwischen den Polen. Das kann in vielen Fällen stimmen. Tatsächlich brauchen wir mehr Vermittlung, mehr Orte des Dialogs. Es müssen Brücken gebaut werden, aber nicht zu den autoritären Polarisierer*innen, sondern zu denen, die von diesen umworben werden und unentschlossen sind, auf wessen Seite sie stehen sollen. Um diese Menschen nicht in die Arme der Anti-Demokrat*innen zu treiben, müssen sie in die demokratische Diskussion eingebunden werden. Das gelingt durch Mitbestimmung, durch demokratische Innovationen, die sich nicht in der reinen Debatte erschöpfen, sondern auch Ergebnisse nach sich ziehen.

Manchmal ist eine Positionierung unumgänglich, wenn man die Demokratie voranbringen oder verteidigen will. In vielen Ländern und auch in Österreich gibt es dahingehend jedenfalls viel zu tun. Rechte von Minderheiten müssen gestärkt, Transparenz erhöht werden. Wir brauchen mehr Foren des Dialogs und der Mitbestimmung, die den Parlamentarismus ergänzen können. Gerade in Zeiten von sozialen Medien, von Beschleunigung und Slogans ist die Rückkehr zum demokratischen Dialog, der seine Zeit braucht und sich nicht in wenigen Worten oder Zeichen erschöpft, dringend nötig. Polarisierungsprozesse sind eine Herausforderungen für offene Gesellschaften. Wer sie eindämmen und zum Positiven wenden will, muss der breiten Debatte Raum geben, Ungleichheiten bekämpfen, Dialog und Demokratiekompetenzen stärken, sich aber auch den autoritären Tendenzen mit klarer Kante entgegenstellen.

Markus Pausch ist Politikwissenschaftler an der FH Salzburg. Er forscht zu Fragen der Demokratie und zur Prävention antidemokratischer Tendenzen in Europa.

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