Noch mehr Waffen machen die Welt nicht sicherer

Beitrag von Hans Holzinger, erschienen in den Salzburger Nachrichten am 23. April 2022

Putins Aggressionskrieg bringt unermessliches Leid und Zerstörung über die Menschen in der Ukraine. Mit Fortdauer des Krieges steigt zudem die Zahl der toten und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten. Die Kriegsverbrechen müssen vom Internationalen Gerichtshof verfolgt, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Als Reaktion auf Putins Krieg jetzt in Europa die Rüstungsetats hochzufahren, erscheint mir jedoch kontraproduktiv. Der Jahresmilitäretat der NATO ist 14 Mal so hoch wie jener von Russland – den Großteildavon stellen die USA, aber auch die EU-Länder liegen laut SIPRI mittlerweile bei 196 Mrd. Euro jährlichen Militärausgaben. Die OSZE verfügt lediglich über 140 Mio. Euro Jahresbudget. Noch mehr Waffen machen die Welt nicht friedlicher, so sehr sie auf Verteidigung ausgerichtet sein mögen. Beiden Weltkriegen sind Rüstungsspiralen der späteren Kriegsgegner vorausgegangen. Wir sind gut beraten, dieser Falle nun zu entgehen. Notwendig wird eine multipolare Sicherheitsarchitektur, die auf globaler wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, ökologischer und kultureller Kooperation basiert.

Die Nationen Europas haben hier aus der Tragödie der beiden Weltkriege durchaus gelernt. Krieg dürfe nicht länger ein Mittel zur Durchsetzung von Interessen sein, Konflikte werden friedlich bearbeitet, lautet die Maxime. Zudem wirkt Wohlstand pazifizierend, Wohlstandsgesellschaften werden zugleich zu postheroischen Gesellschaften – unsere Leidenschaften gelten neuen Konsumprodukten und kollektiv unserer Fußball- oder Eishockeymannschaft. Und die Kriege der USA waren nach dem Vietnamkriegsdebakel allesamt Hightech-Kriege mit blutigen Folgen für die Angegriffenen, aber geringen eigenen Verlusten. Umso heftiger war der Schock über Putins Aggressionskrieg. Auch wenn dieser genug Vorboten hatte: den Einmarsch russischer Truppen in Georgien 2014 nach dem Beschluss der NATO, mit Georgien und der Ukraine NATO-Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, das brutale Eingreifen der russischen Armee in Syrien auf der Seite von Assad.

Das Gespenst der mangelnden Wehrhaftigkeit Europas soll uns jedoch nicht blenden. Eine weltweite neue Rüstungsspirale verschlingt Ressourcen, die wir anderwärtig brauchen – etwa 800 Millionen Menschen leiden aktuell Hunger. Sie konterkariert auch alle Anstrengungen zur Eindämmung der Klimakrise. Der CO2-Ausstoß allein der US-Armee ist größer als jener von Schweden oder Dänemark, wie eine 2019 veröffentlichte Studie des Watson Institutes for International and Public Affairs berechnet hat. In den weltweiten Klimaverhandlungen und den Vereinbarungen von Kyoto und Paris zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes spielen diese Zahlen keine Rolle. Seit mehr als 20 Jahren ist das Militär auf Druck der USA, der anderen Nato-Staaten und Russlands von Berichtspflichten über den CO2-Ausstoß freigestellt. Gewinner einer neuen Aufrüstungswelle sind die Waffenschmieden und jene, die an ihnen mitverdienen.

Wir alle hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges, am sehnlichsten die Menschen, die ihn erleiden – in den belagerten Städten der Ukraine, die Soldaten auf beiden Seiten der Front und deren Angehörige. Es wird und muss eine Nachkriegsordnung geben. Eine europäische sowie eine globale Sicherheitsarchitektur erfordert hierfür eine Vielzahl an Kanälen der Kooperation. Bringen wir die Umsetzung der Sustainable Development Goals zur Abschaffung des Hungers und der Entschärfung der ökosystemischen Krisen voran – etwa durch den Know how-Transfer im Bereich Erneuerbarer Energien. Interessieren wir uns vielmehr für die Länder Osteuropas. Stärken wir Einrichtungen wie die OSZE, die meist unspektakulär wichtige Arbeit in der Bearbeitung von Konflikten leistet, sowie die Vereinten Nationen – vielleicht wären Blauhelme ein guter Weg für die Ukraine? Kehren wir zurück zu Rüstungskontroll- und Abrüstungsgesprächen und engagieren wir uns gemeinsam gegen die sich zuspitzende Klimakrise.

Hans Holzinger ist Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen und Beiratsmitglied des Friedensbüros Salzburg