Workshops “Dschihadismus: Prävention – Defanatisierung”
Die Hintergründe von Extremismus sind nicht leicht zu definieren. Es herrscht auch, wie es bei einem so komplexen Thema sehr oft der Fall ist, eine große Meinungsverschiedenheit unter den ExpertInnen. Ein Zugang, den ich persönlich bevorzuge, ist über die gesellschaftlichen Bedingungen, die eine Fanatisierung begünstigen. Hierbei ist die Konstruktion von „kollektiven Identitäten“ oder eben „Gruppenidentitäten“, sehr wesentlich: Nation, Religion, Geschlecht, Ethnie… Extremismen kursieren oft um diese Identitätsmarker herum, weswegen es in der Präventionsarbeit besonders wichtig ist hier genauer hinzusehen.
Das Grundgerüst vieler politischer und religiöser Extremismen ist dementsprechend ein klares Bild von weiß und schwarz, gut und böse, „wir“ und „sie“. Diese Konstruktionen von eindeutigen Identitäten, die keine Überschneidungen zulassen, sind gesellschaftlichen Sichtweisen von Identitäten geschuldet, die es zu „dekonstruieren“ gilt.
Hierbei sind bei der Thematisierung von Extremismus im pädagogischen Rahmen ein paar Aspekte zu bedenken:
1. Beziehung vor Inhalt
Der „perfekt“ gestaltete Workshop kann das genaue Gegenteil vom beabsichtigten bewirken, wenn meine Beziehung zum/r SchülerIn nicht passt.
2. Quelle des Zorns/der Kränkung
Als nächstes versuche ich die Quelle des Zorns beim Betroffenen zu suchen. Wenn sie nicht deutlich ausgesprochen wird, dann nimmt man Themen her, von denen man ausgehen kann, dass sie eventuell Gefühle der Kränkung erzeugen: gewalttätige Auseinandersetzungen mit „Fremden“ beim Fortgehen, Krieg in Syrien oder sonst wo auf der Welt, erfahrener Rassismus, stereotypische Medienbilder, die über die eigene Gruppe gestreut werden, das Gefühl, dass ich meine Identität nicht leben kann…
Hierbei versuche ich einen Rahmen zu schaffen, in dem man offen über Gefühle sprechen kann. Hier soll klar vermittelt werden, dass es normal ist, dass diese Vorfälle einen zornig machen um in weiterer Folge zu einem späteren Zeitpunkt den Schritt zum „aber“ machen zu können.
In meiner Herangehensweise versuche ich hinter die extremistische Ideologie zu blicken und zu verstehen, was den Zorn erzeugt, damit die jeweilige Ideologie überhaupt auf fruchtbaren Boden fallen kann. Ich vermeide es aufgrund der Emotionalität des Themas einen bestimmten Extremismus konkret anzusprechen. Dies erfolgt meistens in einem zweiten Teil des Workshops oder am Ende des Tages, wo es um konkrete Extremismusformen und deren Symboliken geht.
3. Multiple Identitäten
Als Kern des Workshops ist die Auseinandersetzung mit Identitäten zu sehen. Oft entstehen Extremismen dann, wann Identitätsbedürfnisse nicht gestillt werden oder Einzelpersonen einen Verlust ihrer Identität wahrnehmen oder befürchten. In vielen Fällen sehen wir auch, dass ExtremistInnen oft eine oberflächliche Auseinandersetzung mit der eigenen Identität hatten.
- Ich bin ich: Hier wird versucht die Auseinandersetzung mit dem Eigenen zu ermöglichen um die eigene Identität zu normalisieren. Gerade in persönlichen „Krisen“ kann eine Teilidentität (Nation, Religion…) „neuentdeckt“ werden und deswegen ist es wichtig hier gerade Jugendlichen Entwicklungsspielraum zu ermöglichen.
- Kulturalisierung von Konflikten: alle Menschen erleben in ihrem Leben Konflikte und gehen auf verschiedene Weisen damit um. Konflikte mit „Fremden“ erleben wir jedoch anders und haben manchmal das Gefühl, dass sie „unlösbar“ wären. Gleichzeitig verstärkt das in manchen das Gefühl wegen ihrer Identität „Opfer“ von Ausgrenzung und machtlos zu sein.
- Multiple Identitäten: der Mensch gehört vielen verschiedenen Gruppen an, die seine Identität prägen: Bildung, Beruf, Ethnie, Fußballverein, Skater, Geschlecht, Land, Musikband, Religion… Der Ansatz der multiplen Identitäten ist in der Präventionsarbeit wesentlich, weil er uns eine Möglichkeit bietet die Unterschiede anzuerkennen und gleichzeitig Gemeinsamkeiten zu sehen: zB. auch wenn ich mich nicht in der Kirche mit allen treffe, so tue ich dies vielleicht in der Schule, auf dem Fußballfeld oder in der Konzerthalle etc… Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass Menschen, die in multiplen Identitäten denken, weniger zu Vorurteilen und Hass gegenüber Fremdgruppen neigen.